Das schwarze Auge - 47. Runde der Kampagne: Greifenfurter Adel
Ich wurde durch den Lärm einer Menschenmenge geweckt, die sich unten am Hafen versammelt hatte. Der Tumult ließ keinen Zweifel daran, dass etwas Wichtiges im Gange war, doch zu dieser frühen Stunde konnte ich die Tragweite der Ereignisse noch nicht erahnen. Während des Frühstücks kam schließlich die schicksalhafte Nachricht: Die Hafenarbeiter waren in den Streik getreten und der Vertreter der Mada Basari wirkte sichtlich aufgelöst, als er uns mit zittriger Stimme informierte, dass auch ihre Angestellten die Arbeit niedergelegt hätten. Damit war klar, dass unser Schiff nicht wie geplant abfahren konnte.
Andaryn von Arestehr, Gray der Eisige und ich beschlossen, uns die Lage einmal genauer anzusehen. Gemeinsam verließen wir das Gasthaus “Der Hartsteener” und gingen die wenigen Schritte zum Hafen. Die eisige Kälte des frühen Winters schnitt uns ins Gesicht, und die Dunkelheit machte die ohnehin angespannte Atmosphäre noch bedrückender. Am Hafen protestierten die Arbeiter und ihre Stimmen hallten durch die kalte, klare Luft. Die Stadtgarde von Perricum hatte sie bereits umstellt; die Spitzen ihrer Speere blitzten bedrohlich im Schein einiger weniger Fackeln. Es war ein gefährliches Patt, das jederzeit kippen konnte. Die Bereitschaft zum Einsatz von Gewalt lag in der Luft. Wenn dies so weiterging, würde es nicht lange dauern, bis das erste Blut fließen würde.
Wir mussten etwas unternehmen, aber mein Plan, die Arbeiter mit einer Flammenwand davon abzuhalten, weitere Dummheiten zu begehen, stieß bei Andaryn und Gray auf wenig Gegenliebe. Dabei wäre es ein sicherer Weg gewesen, die beiden Parteien voneinander zu trennen und die Arbeiter daran zu erinnern, dass sie nicht nur ihren Bäuchen, sondern auch dem garethischen Königreich verpflichtet waren. In einer Stadt wie Perricum, die wie keine andere unter Krieg und Fluten gelitten hatte, mussten die Bürger wissen, dass auch sie Verantwortung trugen. Überall sah man noch die Spuren, die der Angriff des Erzverräters Helme Haffax hinterlassen hatte – Narben einer Stadt, die vielleicht niemals ganz verheilen würden. Doch so sehr ich meine Kameraden auch zu einer schnellen Lösung drängte, sie bestanden darauf, sich noch weiter zu beraten. Die Zeit drängte, und ich fühlte, wie die Situation uns entglitt. Während ich mich bereit machte, notfalls auf der Seite von Recht und Ordnung einzuschreiten, verschwanden Andaryn und Gray in Richtung der Handelskontore und Lagerhäuser.
Nach einer Weile kehrten Andaryn und Gray mit einem Karren voller Getränkeschläuche zurück, den sie unbemerkt von Pöbel und Garde hinter einigen Häusern entlanggezogen. Die Anwesenheit eines Magus des Kaiserlich Garethischen Lehrinstituts der angewandten kombattiven Magie, vom Schwert und Stabe zu Gareth, wirkte zwar auf beide Parteien beruhigend, und ich konnte förmlich spüren, wie die Gardisten sich durch meine Anwesenheit entspannt hatten. Doch meine Neugier war geweckt, und ich wollte unbedingt wissen, was meine Kameraden mit den Getränkeschläuchen vorhatten. Also erklärte ich dem verantwortlichen Wachmann, dass ich in der Nähe bleiben würde, aber einen genaueren Blick auf die Streikenden werfen müsse.
Andaryn und Gray zeigten einmal mehr, dass sie den Charakter des einfachen Mannes mehr als nur gestanden hatten. Die Getränkeschläuche, die sie hergebracht hatten, waren voller Wein, den sie den Hafenarbeitern zum Trinken geben wollten. Ein riskanter wie genialer Plan, die aufgebrachte Menge mit Alkohol abzulenken. Sicherlich würden sie nicht Nein sagen, aber es gab einen Zeitraum zwischen angetrunken und betrunken, an dem die bereits bestehende Gewaltbereitschaft eskalieren könnte. Trotzdem entschlossen wir uns, den Plan in die Tat umzusetzen – in der Hoffnung, dass der Wein die Wogen glätten und nicht weiter anheizen würde.
Während ich mich im Hintergrund hielt, verhandelten Andaryn und Gray mit dem Anführer der Arbeiter und gaben die Weinschläuche an die Streikenden aus. Nach einiger Zeit gelang es ihnen, die Hafenarbeiter dazu zu bewegen, sich ins Gasthaus “Der Hartsteener” zurückzuziehen. Dort erfuhren wir schließlich den Grund für den Streik: Ein Hafenarbeiter war anscheinend im betrunkenen Zustand verunglückt und würde nun für lange Zeit ausfallen. Die Verträge sahen vor, dass die Kontore die Arbeiter nach Unfällen weiterbezahlen mussten, was die Händler dazu veranlasste, jeglichen Alkoholkonsum während der Arbeit zu verbieten. Die Arbeiter, die tagtäglich Kälte, Wind und Wetter ausgesetzt waren, während sie ihre schwere und monotone Arbeit verrichten, wollten dieses Verbot jedoch nicht hinnehmen. So kam es an diesem Morgen zum Konflikt, und da die Kontore um ihre Schiffe und Waren fürchteten, wurde die Garde gerufen.
Nachdem wir uns die Punkte der Hafenarbeiter angehört hatten, schlug Andaryn vor, dass wir versuchen könnten, mit den Kaufleuten zu verhandeln. Auf diese Idee hatte ihn wohl der Vorwurf gebracht, dass wir so aussähen, als würden wir auch zu den Pfeffersäcken gehören, die die Arbeiter ausbeuteten.
Zu dritt machten wir uns auf den Weg zu den Kontoren, staunten aber nicht schlecht, als wir dies leer vorfanden. Nur durch Zufall trafen wir einen Handlanger, der uns berichtete, dass sich die Herren im Phex-Tempel versammelt hatten. Da dieser nur ein kurzes Stück von den Kontoren entfernt war, machten wir uns gleich auf den. Ich hatte kein gutes Gefühl dabei, wenn ich daran dachte, was sich aufgebrachte Leute ausdenken konnten, die sofort die bewaffnete Garde anrücken ließen.
Die Stimmung im Tempel war nicht weniger angespannt als zu Beginn des Tages am Hafen. Vor den versammelten Händlern stand der Vertreter des Hauses Stoerrebrandt, von dem wir wussten, dass es ein machtbesessener Emporkömmling war, der in die ehrwürdige Familie eingeheiratet hatte. Er wollte alle Arbeiter loswerden und durch andere ersetzen, die dann mit deutlich schlechteren Verträgen leben müssten. Er bemühte sich sichtlich, die zwiegespaltene Menge auf seine Zeit zu ziehen, was ihm aber bislang nicht gelang.
Wir hingegen konnten den Anwesenden auf ein Angebot machen. Die Arbeiter würden bis auf etwas Grog zum Mittag auf den Alkohol verzichten. Dafür bekämen sie bessere Kleidung und zur kalten Jahreszeit Feuerschalen zum Aufwärmen. Auch müssten die Arbeitgeber keine Gehälter mehr an Arbeiter bezahlen, die aufgrund von Alkohol verunfallt wären. Mit diesem Angebot konnten wir die Menge überzeugen und dem Vertreter des Hauses Stoerrebrandt blieb nichts anderes übrig, als sich anzuschließen.
Auf dem Rückweg zum Gasthaus und den Hafenarbeitern liefen wir durch Zufall Branibart Pausbäcker und Roban Honorald, die wir von der gemeinsamen Reise nach Wehrheim kannten, in die Arme. Sie drücken Andaryn und Gray eingewickelte Gegenstände in die Hände und baten, dass die beiden diese an sich nehmen sollten. Die Gegenstände gehörten wohl unserem mysteriösen Freund Calvin Cordozar Broadus Jr., in dessen Auftrag sie unterwegs waren. Sichtlich überrumpelt nahmen meine Kameraden die unverhofften Geschenke an sich, woraufhin Branibart und Roban schnellstmöglich das Weite suchten. Sie waren kaum um eine Ecke gebogen, als wir sahen, wie drei schwarz vermummte Gestalten sie stoppten. Allerdings sahen wir auch, dass unsere Bekannten dabei sehr entspannt aussahen.
Nach einem kurzen Wortwechsel mit den Arbeitern begutachteten wir die Geschenke, bei denen es sich um sehr edle Schwerter handelte. Andaryn ist ein formidabler Kämpfer, der hervorragend mit dem Schwert umgehen kann, aber was Gray mit einer solchen Waffe anfangen wollte, war mir klar. Dennoch strahlte sein Schwert eine gewisse Kälte aus, die gut zu seinem neuen Träger passte. Als Magus müsste er aber aufpassen, dass er nicht damit gesehen wird; das verbietet ihm der Codex Albyricus.
Nachdem wir die Waffen kurz in Augenschein genommen hatten, sprachen wir mit den Hafenarbeitern über die Lage. Diese waren von dem Ergebnis unserer Verhandlungen durchaus beeindruckt und versprachen, sich an die Abmachungen zu halten und ich glaube, dass wir von nun an einige Freunde in Perricum hatten.