DSK Session 4 - Aus den Erzählungen von Benjamin Büchernase
Es war ein Abend, der in der Taverne von Layla Goldschimmer seinen Anfang nahm, ein Abend, der in seiner scheinbaren Friedfertigkeit den Auftakt zu einer Reihe beunruhigender Ereignisse markierte. Wie es oft bei solchen Gelegenheiten der Fall ist, widmeten wir uns, ahnungslos über das, was kommen sollte, den vielfältigen Freuden des Daseins. Ich, in meiner erlesenen Vorliebe für kulinarische Genüsse, ergötzte mich an einem Glas Mäusemilch, während Ravenna, stets bereit für eine Auseinandersetzung, sich in Streitigkeiten verstrickte. Die anderen unserer kleinen Schar gingen ihren eigenen Vergnügungen nach. Doch diese Idylle wurde jäh unterbrochen, als ein Waschbär, bekannt unter dem Namen Hase, die Gaststube betrat und unsere Aufmerksamkeit auf sich zog. Er hatte dieses Mal zwar keinen konkreten Auftrag für uns, doch lockte er uns mit der Aussicht auf Krimskrams, wenn wir uns nach Wolldorf begeben würden, um einem Vorschlag seines Freundes Saytan Wollsammler Gehör zu schenken.
Die Frage, wie wir nach Wolldorf gelangen sollten, war nun von Bedeutung, da dieses Dorf immerhin zwei Tagesmärsche von Havena entfernt lag. Ich persönlich fand den Vorschlag von Herrn Hase, mit einem Menschenkarren zu reisen, äußerst ansprechend und schlug vor, die Menschen abzulenken, damit wir uns unbemerkt auf den Karren schleichen konnten. Meine Strategie war simpel: Ich hätte mich entblößt, mich auf den Rücken geworfen und herzzerreißend miaut – eine Taktik, die stets ihre Wirkung zeigt. Doch aus Gründen, die mir schleierhaft blieben, entschied sich die Gruppe für den Fußmarsch.
So begaben wir uns also zu Fuß auf den Weg und machten, zu meiner Überraschung, gute Fortschritte. Am nächsten Morgen, als wir uns am Ufer eines Flüsschens niederließen, um uns ein wenig zu erholen und ein leichtes Mahl zu uns zu nehmen, musste ich, da ich zugegebenermaßen eher ein Mann des brillanten Geistes als der mondänen Verwaltungstätigkeit bin, gestehen, dass ich es versäumt hatte, Proviant einzupacken. Doch ich war zuversichtlich, dass ich als gewandter und geschickter Kater diese Herausforderung meistern würde.
Ravenna und ich vernahmen bald die Rufe junger Vögel aus einem nahegelegenen Nest. Wir beschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen und kletterten auf einen der umstehenden Bäume. Dort fanden wir jedoch nur ein Nest riesiger Stechmücken vor, und wenn ich von “riesig” spreche, meine ich, dass diese Kreaturen mindestens so groß wie unser pummeliger Gefährte Ruben waren. Ohne Worte waren wir uns einig, dass wir auf eine nähere Bekanntschaft mit diesen Ungeheuern verzichten wollten.
Unterdessen kletterte der gute Jack auf einen anderen Baum und kehrte von dort, nach viel Gekrächze und Geschrei, in einem bedauernswerten Zustand zurück. Er war offensichtlich auf einen Schwarm brütender Krähen gestoßen, die ihn übel zugerichtet hatten. Ich hatte Jack schon in manch rauer Situation erlebt, doch so mitgenommen hatte ich ihn noch nie gesehen.
Da wir immer noch nichts Essbares gefunden hatten, kletterten wir alle auf den letzten verbleibenden Baum – alle außer Jack, der dazu nicht mehr in der Lage war. Ein Umstand, der sich rückblickend als Glücksfall erwies. In der Baumkrone entdeckten wir eine Spinne von beinahe zwei Metern Durchmesser. Der Anblick ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Zunächst dachte ich, Ravenna sei in ihrer Fassung geblieben und bewegte sich nicht, um das Ungetüm nicht zu provozieren. Doch als die Spinne näherkam und ich sie am Ärmel zupfte, wurde mir klar, dass es mit ihrer Coolness nicht weit her war. Leider war es zu spät, und die Spinne griff an. In einem Akt überlegenen Geistes und Mutes stellte ich mich dem Angriff entgegen, um Ravenna zu schützen, zahlte jedoch einen hohen Preis dafür, als das Monster mich schwer verwundete. Doch es war es wert, denn der pummelige Müllwühler Ruben bewies ein Mindestmaß an Geistesgegenwart und stieß Ravenna vom Baum, um sie aus der Gefahrenzone zu bringen. Nachdem diese brenzlige Situation etwas entschärft war, zogen wir uns geordnet zurück, wobei Inigo unseren Rückzug bis zum Schluss deckte.
Wieder auf festem Boden und nach einigen tiefen Atemzügen analysierte ich unsere Lage. Ravenna schien bei ihrer unsanften Landung einige Beulen und Schwellungen davongetragen zu haben, was sie besonders kampflustig machte. Ruben und Inigo hatten sich sichtlich verausgabt, ich war schwer verletzt, und Jack sah nicht nur miserabel aus, sondern war auch noch schlimmer verletzt als ich.
Da wir jedoch immer noch nichts erjagt hatten, suchten wir erneut am Boden nach Nahrung und es gelang uns schließlich, einen Fasan zu erlegen. Nach einem kräftigen Mahl und einer erholsamen Nacht fühlte ich mich deutlich besser, obwohl Jack immer noch elend aussah. Dennoch setzten wir unseren Weg nach Wolldorf fort.
Kurz bevor wir das Dorf erreichten, begegneten wir einem Kater namens Joka Schlaufuß, der auf einem Stein saß. In der ihr eigenen Art, sich den minimalen Umgangsformen zivilisierter Katzen zu approximieren, begann Ravenna, als Dame von Stand, ein Gespräch mit ihm, welches bereits nach den ersten Worten in einen Zwist abzugleiten drohte. Meine Wenigkeit, selbst höchstens ein bescheidener Kater von Bildungsstand, gelang es, die Situation zu retten und einige Tipps für eine mögliche Unterkunft in Wolldorf zu erfragen. Der freundliche Kater empfahl uns die Milchschenke im Hackerhaus als durchaus adäquate Unterkunft.
Mit Einbruch der Dämmerung erreichten wir Wolldorf. Die Straßen waren fast menschenleer, und die ersten Katzen streiften aufrecht durch die Gassen. Durch freundliches Nachfragen erfuhren wir, dass wir Saytan in der Milchschenke finden könnten, die uns auch als mögliche Unterkunft genannt worden war. So begaben wir uns ohne Umschweife dorthin.
In der Taverne angekommen, verteilten wir uns. Ich setzte mich an die Theke, bestellte eine köstliche Sahne und eine exzellente Schale Gärfisch, eine besondere Delikatesse, bei der charmanten Wirtin Lysa Taubenfeder. Nachdem ich mir auch eine angenehme Unterkunft mit einer gemütlichen Kiste gesichert hatte, wollte ich die Gelegenheit nutzen, um einige Momente der Ruhe zu genießen. Doch Ravenna hatte andere Pläne für das, was mein Moment der inneren Einkehr hätte sein sollen. Die Dame von Stand bestellte sich ein Wasser und einen Schlafplatz auf dem kalten Boden im Lager der Milchschenke. Ich hoffte, dies tat sie nur, weil sie erfahren hatte, dass sich der gesuchte Saytan dort aufhielt. Nichtsdestotrotz ließ sie es sich nicht nehmen, diesen sofort zu wecken, und so bewunderte ich für eine Weile die Art von Einsatzbereitschaft, die sie an den Tag legte.
Nachdem Saytan vollends zu sich gekommen war – er schien kein Frühaufsteher zu sein –, versammelten wir uns alle an einem großen Tisch in der Taverne. Der etwas exzentrische Freund von Hase erzählte uns von einem alten Drachentempel in den Bergen nördlich des Dorfes und von einer Inschrift am Tor, die bisher niemand entziffern konnte. Doch ich hatte es noch nicht versucht. Wir beschlossen, keine Zeit zu verlieren und uns das Tor genauer anzusehen. Wie ich bereits vermutet hatte, war es mir ein Leichtes, die Inschrift zu entziffern: „Der Schlüssel zum Tor verbirgt sich im Wissen der Stadt.“ Dieser Hinweis führte uns umgehend zurück nach Wolldorf. Dort fiel Jack auf, dass die Statue in der Mitte des Dorfplatzes ein Buch in der Hand hielt, und wir untersuchten diese Statue genauer. Ravenna entdeckte an jedem der fünf Ecken des Sockels murmelgroße Öffnungen und machte uns darauf aufmerksam. Saytan erzählte uns daraufhin eine Geschichte des Dorfes, von fünf Murmeln, die den Menschen von einer Katze gestohlen wurden, und von einem Streit. Er vermutete, dass die Murmeln nun im Besitz verschiedener Katzen und vielleicht sogar erwachter Hunde seien. Mich amüsierte es sehr, dass er unbewusst zugab, dass die Katzen dieses Dorfes nicht mehr alle Murmeln beisammenhatten.